Hofreiter (Grüne) „Eine Wahl zwischen Aufbruch und Weiter so“

"Wir könnten einen Sog erzeugen", sieht Anton Hofreiter Deutschland in einer Vorreiterrolle in Sachen Klima-Neutralität -Foto: Rammer

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sieht Deutschland vor Richtungsentscheidung und fordert mehr Optimismus

Seit 2013 führt der Münchner Anton Hofreiter (51) die grüne Bundestagsfraktion. Der Wahlkampf hat ihn auch nach Niederbayern geführt. Wir haben uns mit dem frischgebackenen Vater über Chancen und Aussichten seiner Partei unterhalten, und darüber, was die Grünen anders machen würden, wenn sie in Regierungsverantwortung stünden.

Unions-Kanzlerkandidat Laschet hat ein Sofortprogramm vorgestellt. Einer der sechs Punkte betrifft auch den Klimaschutz. Wie bewerten Sie das Papier?
Anton Hofreiter: Armin Laschet hat es tatsächlich geschafft, beim Klimaschutz die nächste Nullnummer hinzulegen. Wer nämlich glaubt, die Klimakrise mit Abschreibungsmöglichkeiten und ein wenig KfW-Programm in den Griff zu kriegen, der hat einfach nicht verstanden, wie groß die Krise ist. Deutschland droht dieses Jahr wieder die Klimaziele massiv zu verfehlen. Was wir wirklich brauchen, ist ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien, einen vorgezogenen Kohleausstieg.

Also Note 6 für dieses Sofortprogramm?
Hofreiter: Nein, sagen wir 5 minus, immerhin kommt das Wort Klima vor.

Sie waren in den letzten Wochen des Wahlkampfs, so scheint es uns, erstaunlich still. Wie erklärt sich denn die Zurückhaltung?
Hofreiter: Ich war die letzten Wochen schwerpunktmäßig in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, in NRW unterwegs. Dort waren die Veranstaltungen extrem gut besucht und das mediale Interesse an unseren Themen war sehr hoch.

Wie ist denn die bisherige Bilanz des grünen Wahlkampfs?
Hofreiter: Also die Stimmung auf den Straßen ist wirklich sensationell. Wir haben gerade eine Wahlkampfveranstaltung im Biergarten in Landshut gemacht, da waren die Plätze im Biergarten komplett besetzt. Ich mache das ja jetzt schon lange, aber so groß waren der Zuspruch und die Nachfrage noch nie, nicht einmal ansatzweise.

Die grünen Themen haben Konjunktur?
Hofreiter: Noch nie waren jedenfalls so viele Menschen auf den Veranstaltungen und noch nie waren Nachfragen so intensiv wie jetzt. Den Leuten ist klar, dass wir vor einer Richtungswahl stehen, der Wahl zwischen Aufbruch und Weiter so.

Sie waren heute in Passau unterwegs, in der Heimat des CSU-Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer, der für sich eine sehr positive Bilanz seiner Amtszeit in Anspruch nimmt. Wie sehen Sie das? Sie könnten ja sein Nachfolger werden.
Hofreiter: Wir wollen nicht über Personal spekulieren. Erst mal wählen die Bürger, dann gibt es Verhandlungen. Und dann einigt man sich hoffentlich auf sinnvolle Ziele und erst danach wird über das Personal geredet. Aber zur Bilanz: Die Bilanz Scheuers ist überhaupt nicht positiv, das sehen auch viele Menschen. Wenn man sich den Zustand der Bahn anschaut. Wenn man sich den Zustand des Glasfasernetzes anschaut, wenn man sich den Zustand des Mobilfunknetzes anschaut, den Zustand der Ladesäulen-Infrastruktur in Deutschland. Gefühlt jede zweite Ladesäule hat ein anders Bezahlsystem. Da fragst du dich schon, was Scheuer die letzten Jahre gemacht hat. Und zu einer modernen Autobahn sollte inzwischen ein gut funktionierendes Lade-System und auch ein gut funktionierendes 5G-Netz gehören. Da hinken wir gewaltig hinterher, aber das ist genau das, was die Autoindustrie in der Zukunft braucht. Ich war am Samstag auf der IAA, die setzen auf autonomes Fahren und mit wenigen Ausnahmen auf Elektromobilität. Darum muss man sich kümmern, wenn wir Arbeitsplätze erhalten und eine lebenswerte Zukunft gestalten wollen.

„Wenn man es richtig macht, wird es uns besser gehen“

Sie fordern Tempo 130 auf den Autobahnen. Ein Streitthema seit Jahren. Bleibt es bei freier Fahrt auf den Autobahnen?
Hofreiter: Inzwischen ist die Mehrheit der Bevölkerung für 130 und sogar die Mehrheit der ADAC-Mitglieder ist dafür, auch weil insgesamt gerade viele ältere Menschen zunehmend Angst haben, auf der Autobahn zu fahren. Wenn es einen Lkw mit 140 oder 150 zu überholen gilt, kommt plötzlich einer mit 220 daher geschossen, das erschreckt die Leute. Das ist ein Sicherheitsthema.

Wenn der Aufschrei bei einem drohenden Spritpreis von zwei Euro pro Liter schon so groß ist, wie wollen Sie da Ihre Klimaschutzpolitik durchsetzen?
Hofreiter: Wenn wir nichts tun, werden mit der Klimakrise doch erst recht gigantische Kosten auf uns zukommen – ökonomische und menschliche. Eine konsequente Klimaschutzpolitik hingegen nutzt auch unserer Wirtschaft und schützt unsere Freiheit. Natürlich muss die Umsetzung stimmen, die Kosten müssen fair verteilt sein. Nehmen Sie das Beispiel Photovoltaikanlagen: Auf dem Dach kann man inzwischen die Kilowattstunde Strom für 8 Cent liefern. Im Moment ist es so, dass die Menschen im Schnitt 30 Cent zahlen.

Und wie sieht es für die Industrie aus?
Hofreiter: Da gilt das Gleiche. Die Stahlindustrie sagt, sie müssten dringend investieren, aber es würde sich nicht mehr lohnen, weil ihre Hochöfen alt seien. Deswegen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sie investieren nicht in Deutschland, und die Arbeitsplätze sind futsch, oder es gibt diese Klima-Verträge. Dann investieren sie in Deutschland, und wir haben zukünftig die Chance auf die modernste Stahlindustrie der Welt. Das Gleiche gilt für die Autoindustrie. VW und BMW sagen, sie brauchen ausreichend erneuerbare Energien. Sie setzen voll auf Batterie elektrisch, auch Wasserstoff elektrisch, aber dafür brauchen sie erneuerbare Energien. Und deshalb, wenn man es richtig macht, wird es uns sogar ökonomisch besser gehen. Aber dazu muss man natürlich den bürokratischen Irrsinn, der über die letzten Jahre aufgebaut worden ist, etwas lichten. Ich habe vor kurzem Windkraft-Projektierer getroffen, sie haben mir gesagt, unter Rot-Grün haben sie nur sechs bis neun Monate gebraucht, um eine Windkraftanlage genehmigt zu bekommen. Jetzt brauchen sie sechs bis neun Jahre. So kann es nicht weitergehen. Wenn man so technikfeindlich agiert, wie es die letzten Jahre passiert ist, wenn man eine solche Bürokratie aufbaut und den Leuten, die es machen wollen, nur Knüppel zwischen die Beine schmeißt, dann wird es halt nix.

Sie beschreiben jetzt das, was Sie unter sozioökologischer Transformation verstehen?
Hofreiter: Wir müssen dafür sorgen, dass die normalen Leute profitieren. Deshalb wollen wir ein unbürokratisches Mieter-Strom-Modell, von dem auch der Mittelstand profitiert. Handwerker sagen, sie würden sich sofort eine Photovoltaikanlage installieren, den Strom selber verwenden, damit sie die Netze nicht belasten. Aber sie müssen hohe Abgaben zahlen. Wir müssen entbürokratisieren und die Abgaben abschaffen und des Weiteren dafür sorgen, dass die Einnahmen vom CO2-Preis einfach an die Menschen rückverteilt werden. Wir schlagen zwei Instrumente dafür vor: den Klimabonus und das Energiegeld. Das Energiegeld gibt es pro Kopf in Höhe von 75 Euro. Den Klimabonus erhalten zudem Menschen, die weniger Einkommen haben und beispielsweise auf dem Land leben. Ein Beispiel: Eine Krankenschwester muss weiter pendeln, ist dadurch belastet vom steigenden CO2-Preis und kann sich nicht so ohne weiteres ein Elektroauto leisten. Also kriegt sie nach unseren Vorstellungen zu den bisherigen 6000 Euro Förderung 3000 Euro zusätzlich. Auch die Krankenschwester soll sich ein Elektroauto leisten können.

Kurz vor der Wahl hat Ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock an Boden gegenüber Olaf Scholz und Armin Laschet verloren?
Hofreiter: Wenn man sich das letzte Triell anschaut, hatte Annalena Baerbock den stärksten Auftritt. Wir haben gute Chancen, mit unseren Themen jetzt noch nach vorne zu kommen.

Man kann ja davon ausgehen, dass Ihre Partei ein gewichtiges Wort mitsprechen wird bei der nächsten Regierungsbildung. Wie werden sich die Grünen positionieren und welche Koalitionen kommen für Sie in Frage?
Hofreiter: Wir haben gesagt, dass wir mit allen demokratischen Parteien reden. Natürlich gibt es Voraussetzungen. Die SPD ist uns am nächsten. Am liebsten wäre es uns deshalb, wenn wir einfach mit der SPD regieren könnten. Das haben wir schon mal gemacht und das waren gute Jahre für unser Land.

Und Schwarz-Grün?
Hofreiter: Schwarz-Grün haben wir nicht ausgeschlossen, aber im Moment schaut es eher nicht danach aus, dass es dafür langt. Wie gesagt, wir reden mit allen demokratischen Parteien.
Sie haben gesagt, dass wir die letzte Generation seien, die die Klimakrise noch abwenden kann. Wie optimistisch sind Sie, dass die Deutschen oder Europa allein die Welt noch retten können?
Hofreiter: Deutschland und Europa allein können die Welt zwar nicht retten. Aber wir haben eine Verantwortung, unseren Teil beizutragen. Und wir können als viertgrößte Industrienation der Welt zeigen, wie wir mit Einsatz modernster Technologie und kluger Ideen dafür sorgen, dass wir unsere industrielle Basis klimaneutral machen und dabei zugleich Stahlindustrie, Chemieindustrie, Autoindustrie, Bahnindustrie und modernen Maschinenbau stärken. Damit bauen wir auch einen hohen Druck auf andere auf, die das übernehmen wollen. Außerdem sind wir das größte Land innerhalb der Europäischen Union und wenn Deutschland mal aufhören würde, die EU-Kommission zu bremsen und beginnen würde, sie zu unterstützen, dann könnte Europa als größter Binnenmarkt der Welt noch stärker ein Vorbild setzen. Da könnte man einen riesigen Hebel entwickeln.

Also Deutschland in der Vorreiterrolle in Sachen Klima-Neutralität?
Hofreiter: Ja, wir könnten einen richtigen Sog erzeugen, wenn wir das europäisch gestalten und den riesigen europäischen Markt, den größten Binnenmarkt der Welt, als Hebel einsetzten. Das kann einen gigantischen Unterschied machen.

Sie sind Vater eines sechs Monate alten Kindes. Sie machen Politik auch für Ihren Nachwuchs?
Hofreiter: Ja, selbstverständlich. Die nächste Regierung ist die letzte, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann. Das ist die allergrößte Herausforderung. Nachdem wir Jahrzehnte so viel Zeit verloren haben, ist jetzt sehr, sehr viel parallel zu machen.

Inwieweit stört Sie es, dass viele Angst vor den Herausforderungen haben?
Hofreiter: Ich glaube, dass wir wieder deutlich mehr Optimismus und Aufbruch in diesem Land brauchen, und die Zuversicht, Dinge in den Griff zu kriegen. Es geht nicht um irgendwelche zukünftigen Generationen, die in 30, 40 Jahren geboren werden. Es geht inzwischen um uns alle. Ich finde, es lohnt sich, anzupacken.

Quelle: Passauer Neue Presse vom 15.09.2021
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