Das Schicksal einer Familie

Dr. Regina Gottschalk stellte im KaffeeWerk auf Einladung der Grünen ihr Buch "Auf Nachricht warten" vor. - Foto: Kaak

Regina Gottschalk liest im Kaffeewerk aus ihrem Buch „Auf Nachricht warten“

„Es ist ein Schicksal, das sich millionenfach ereignet hat. Dennoch ist es jede einzelne dieser Geschichten wert, erzählt zu werden.“ Bereits die ersten Worte, mit denen Regina Gottschalk ihre Lesung im Kaffeewerk beginnt, stimmen nachdenklich. Mitgebracht hat die promovierte Gymnasiallehrerin ihr Buch „Auf Nachricht warten“, das 2015 beim Viechtacher Lichtung-Verlag erschienen ist. Detailliert zeichnet die Autorin darin das Leben der jüdischen Familie Getreuer während des nationalsozialistischen Regimes nach.

Regina Gottschalk, geborene Getreuer, ist mit der Familie väterlicherseits weitläufig verwandt. Grundstein des Buches war ein Stapel alter Briefe, die sich die Familienmitglieder zwischen 1938 und 1942 geschickt hatten. Auf einem weltweiten Familientreffen hatte Gottschalk etwa 200 der noch erhaltenen Schriftstücke von einem Nachkommen in die Hand gedrückt bekommen. Die Bitte: Sie solle den Inhalt zusammenfassen. „Die Briefe waren ungeordnet, teilweise undatiert und schwer lesbar“, erklärt die pensionierte Lehrerin. „Ich kannte die Zusammenhänge und Personen nicht.“

Mit zunehmender Recherche faszinierte sie die Geschichte immer mehr, bis schließlich die Idee entstand, ein Buch zu verfassen. „Ich habe Mosaikstein auf Mosaikstein gesetzt, es hat viel Kraft gekostet“, erinnert sich die Germanistin und Historikerin. „Irgendwann hatte ich eine fast kriminalistische Neugier entwickelt.“

Im Zentrum des Werkes stehen Heinrich und Frida Getreuer, ihre vier Kinder Rose, Louise, Elsa und Walter sowie die Enkelin Ruth. Die Geschichte beginnt in Schwanenbrückl, einem kleinen Dorf im ehemaligen Westböhmen. Damals beherbergte die Ortschaft 221 Bewohner, heute sind Dorf und Menschen verschwunden. „Inzwischen hat Schwanenbrückl den Status eines untergegangenen Dorfes“, erzählt Regina Gottschalk. Nur noch ein giftgrünes Schild, auf dem der Ortsname in Deutsch und Tschechisch steht, erinnert daran.

Die Familie hatte dort ein ruhiges Leben. „Im September 1938 zerbrach die heile Welt von Schwanenbrückl“, erklärt die Autorin. Mit dem Münchner Abkommen hatte Hitler die Tschechoslowakei zur Abtretung des Sudetenlandes gezwungen. Die darauf folgende Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren führte dazu, dass fortan auch dort die antisemitischen Gesetze galten. In der Folge flüchtete die Familie nach Prag. Von dort aus gelang es den inzwischen erwachsenen Kindern, in die USA, nach England und nach Shanghai zu emigrieren. Die Eltern Frida und Heinrich sollten möglichst schnell nachkommen. Jedoch fürchteten beide, die für damalige Verhältnisse schon in einem hohen Alter waren, die Flucht. „Sie hatten immer gedacht: Wir überstehen das alles irgendwie“, berichtet Gottschalk.

Zudem waren ihnen aufgrund ihrer jüdischen Herkunft jegliche Nachrichtenquellen wie Zeitung und Radio verwehrt. „Sie hatten praktisch keine Informationen.“ Im Laufe der Zeit hatten sie sich aber um ein Visum in den USA bemüht. Die Tochter Rose und ihr Ehemann Josef, die bereits in den Staaten lebten, hatten sogar eine Bürgschaft übernommen, um den Eltern die Einreise zu ermöglichen. Alle Anstrengungen blieben aber vergeblich. Um den Kontakt zu halten, hatten die Eltern und die Kinder begonnen, sich Briefe zu schreiben. Vor allem für die gesundheitlich zunehmend angeschlagene Frida Getreuer wirkten die Schriftstücke wie ein Lebenselixier. Die Zensurbehörden, die den Postverkehr überwachten, und die immer schlimmer werdenden Lebensbedingungen für die jüdischen Bürger erschwerten den Briefwechsel zunehmend. Am Ende konnte Familie Getreuer die Briefe nur noch mit Hilfe einer Schweizer Cousine verschicken. Das letzte Lebenszeichen erhielten die Kinder von ihren Eltern im April 1942 in Form einer Postkarte. Danach wurden Frida und Heinrich Getreuer, wie sich aus historischen Dokumenten ergeben hatte, deportiert. Genau geklärt werden konnte ihr Schicksal nie.

Quelle: Passauer Neue Presse vom 10.12.2016
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